Von der Missbrauchsgefahr der Demokratietheorie des Staatsphilosophen Rousseau für Diktaturen

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Dr. Schulte ist Jurist und betreut als leitender Vertrauensanwalt mehrere große juristische Projekte (2007 Beitrag in Zeitschrift Capital: “große Erfahrung”) und gilt allgemein als Strategieberater für Erfolg durch das Internet (“Ihn fragt der Chef”, Handelsblatt 2012). Dr. Schulte gilt als einer der ältesten Anbieter für Reputation und Strategien (Handelsblatt, 2012).

Rechtsanwalt Dr. Schulte, Berlin
Dr. Thomas Schulte

Strategiebrater / Jurist

Von Josefine Schulte – Demokratie, dieser Begriff geht jedermann leicht von den Lippen, doch die Begrifflichkeit ist schwer zu fassen. Der amerikanische Präsident Abraham Lincoln sagte einmal: „Demokratie ist Regierung des Volkes durch das Volk für das Volk.“

Fast alle demokratischen Systeme sind heute repräsentative Demokratien und organisieren sich wie der „Deutsche Bundestag“. Das Volk wählt Repräsentanten, die wiederum die Politik bestimmen. Direkte Demokratien gibt es auch, so z.B. im deutschen Vereinswesen oder aber in der Schweiz bei manchen Wahlen. Dort kann es sein, dass Tausende Bürger eines Ortes oder eines Kreises zusammenkommen, um z.B. über den Bau einer Straße oder anderes direkt abzustimmen.

Verschiedene Staatsformen

Konsens besteht, wenn von verschiedenen Staatsformen gesprochen wird. Monarchien sind solche, bei denen die Macht von einem gekrönten oder fürstlichen Staatsoberhaupt ausgeht, während alle anderen Staaten Republiken sind. Auch für die Herrschaftsform gilt fast der Grundsatz, dass Einigkeit besteht: Während Demokratien in direkte und repräsentative unterteilt werden, sind Diktaturen entweder autoritär oder gar totalitär. Bei Diktaturen geht die Macht von oben nach unten. Hier herrscht ein Führer oder eine Gruppe. Wesentlich ist, dass die Menschenrechte eingeschränkt oder ganz abgeschafft werden. Totalitäre Diktaturen gehen noch einen Schritt weiter und verlangen z.B. einen Führerkult oder haben eine zusätzliche gültige Staatsideologie wie der Nationalsozialismus oder der Stalinismus.

Staatstheorien gab es schon in der Antike, als heute das System tragend gelten allerdings wissenschaftliche Ansichten, die sich nach der Aufklärung entwickelt hatten.

Identitätstheorie – Konkurrenztheorie

So hat Jean-Jacques Rousseau eine Identitätstheorie entwickelt, während James Madison eine Konkurrenztheorie vertrat. Die Pluralismustheorie des Ernst Fraenkel ergänzt die Konkurrenztheorie. Allen Denkern ist gleich, dass die Gewalt im Staate vom Volk ausgehen soll. Während Rousseau aber sagte, dass das Gemeinwohl objektiv zu bestimmen sei und sich so durchsetze, geht der Denker James Madison von einer Konkurrenz (Interessen und Personen stehen im Wettstreit) aus.

Rousseau meinte, das Gemeinwohl sein von vornherein zu erkennen, und daher seien die Interessen der Bürger gleichgeschaltet. Es gebe höchstens Auffassungsprobleme oder Verständnisprobleme. Die Summen der egoistischen Einzelinteressen bilden damit den Gesamtwillen des Volkes. Unterschiedliche Interessenvertretungen oder gar große politische Diskussionen bedarf es nach dieser Idee nicht. Sonderinteressen seien egoistisch und abzulehnen. Geschichtlich hergeleitet wird diese Auffassung, davon dass sich Rousseau von der absoluten Macht der Herrscher Frankreichs abgrenzen wollte.

In bewusster Abgrenzung zu Rousseau entwickelten die Verfassungsväter der Amerikanischen Verfassung die Konkurrenztheorie. Sie gehen von einer anderen Idee aus. Menschen bzw. Bürger haben kraft ihrer Position immer unterschiedliche Interessen. Ein objektives Gemeinwohl gibt es nicht. Im Rahmen von demokratischen Willensbildungsprozessen sind Diskussionen erlaubt und auch Vereinigungen, wie Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände o.Ä. Zwischen diesen Gruppeninteressen hat eine Diskussion stattzufinden, die dann in einer Wahl endet. Diese Pluralismustheorie wurde von dem deutschen Denker Ernst Fraenkel weiterentwickelt. Diese bildet die Grundlage unseres deutschen Grundgesetzes. Er geht davon aus, dass mittels demokratischer Willensbildung und nach Diskussion unter Zulassung von Verbänden, Vereinen, Parteien oder anderen Interessenvertretungen aber auch gewisse Dinge unveränderlich sind: Es handelt sich um Menschenrechte oder Minderheitenschutz.

Diktaturen können die Identitätstheorie missbrauchen

Autoritäre Systeme können unter Rückgriff auf die Identitätstheorie ihre autoritären und totalitären Regime rechtfertigen. Nach Rousseaus Identitätstheorie muss quasi jeder Mensch gezwungen werden, frei zu sein. Der Gemeinwohlbegriff wird nicht erst in der Diskussion entwickelt, sondern besteht kraft der Tatsache, dass das Gemeinwohl wissenschaftlich definiert werden kann. Damit sind die Interessen der Regierenden und Regierten identisch. Die Menschen- und Bürgerrechte müssen dem Gemeinwohl untergeordnet werden. Es ist nicht legitim, Minderheiten zu schützen oder Einzelinteressen, weil diese der Idee des Gemeinwohles widersprechen. Damit ist dem Machtmissbrauch durch Diktaturen Tür und Tor geöffnet. Es muss nur das Gemeinwohl in eine Richtung definiert werden. Sei es in sog. „Nationalsozialismus“, bei dem es um die Überhöhung der deutschen Interessen in der Welt und um die Schaffung einer eigenen Rasse ging, oder im Sozialismus oder Kommunismus, bei dem das Ziel der Schaffung einer neuen Welt- oder Wirtschaftsordnung, die Interessen der Bürger untergeordnet werden müssen. So heißt es im Lied der Internationale …“die Partei, die Partei, die hat immer Recht…“…

Gemeinwohl – Definition – Minderheitenschutz

Wer das Gemeinwohl definiert, stellt jeden, der außerhalb des Gemeinwohles leben möchte, an den Rand der Gesellschaft. Zwar ist Identitätstheorie ist ein wichtiger Beitrag, für die Diskussion zu Zeiten der absoluten Herrschaft monarchistischer Herrscher in Frankreich. Denn das Interesse einzelner, wie das des Königs Ludwig XIV. als Sonnenkönig, wurde dem wissenschaftlichen Interesse aller gegenübergestellt. Rousseau meint, dass der Satz falsch ist: der Staat bin ich, sondern die Gesamtheit aller Bürgerinteressen bilden den Staat.

Es berücksichtigt allerdings nicht, dass es einen Minderheitenschutz geben muss, und dass häufig nur in der Diskussion und in dem demokratischen Ringen angemessene Ergebnisse erzielt werden können. Zudem eröffnet es dem Machtmissbrauch Tür und Tor. Aus gutem Grund hat sich der Minderheitenschutz des deutschen Grundgesetzes bewährt, der auf der Pluralismustheorie beruht. Der Begriff der „Volksdemokratie“ jedenfalls ist mit dem Untergang des sozialistischen Weltreiches der Sowjetunion 1990 mehr oder minder aus dem Sprachgebrauch getilgt. Heute verlagert sich die Diskussion mehr und mehr zu der Frage, wie groß der Minderheitenschutz sein muss. Das System der unveränderlichen Menschen- und Minderheitenrechte hat sich jedenfalls bewährt.

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